„Querfront“ – Rückblicke in die Geschichte der deutschen Linken

Die aktuelle Debatte in der LINKEN über ein Phänomen, das man „Querfront“ nennt, erinnerte mich an scheinbar Ähnliches in der Geschichte der deutschen Linken. Keine akademisch Analyse, sondern ein assoziativer Rückblick:

Am Beginn des 20. Jahrhundert gaben der Umbruch in die kapitalistisch-imperialistische Industriegesellschaft, der Aufstieg der modernen industriellen Massenproduktion und das Zusammenbrechen der monarchistischen Großstaaten politischen Ideen und Gruppierungen Auftrieb, die Nationalismus mit dem Streben nach einer revolutionären Überwindung der überkommenden Herrschaftsstrukturen und mit antikapitalistischen, sozialistischen Ideengut vermischten. Aus der modernen „Jugendbewegung“ (Jugendstil, Wandervogel), die sich gegen die Zerstörung von Mensch und Natur in den kapitalistischen Industriezentren und gegen die absolute Vorherrschaft des Profits wandte, gab es vor dem Ersten Weltkrieg personelle und intellektuelle Bewegungslinien zur Linken wie zur Rechten.

Zu markanten Grenzgängern vom linken Radikalismus zum sozialistisch national-revolutionärem Denken gehörten in der deutschen Sozialdemokratie z.B. Alexander Parvus, Konrad Haenisch und Paul Lensch. Sie waren vor dem Ersten Weltkrieg auf dem radikalen linken Flügel der SPD Parteigänger von Rosa Luxemburg und versammelten sich im Laufe des Krieges um die Zeitschrift Die Glocke gemeinsam mit Johann Plenge, Heinrich Cunow u.a.m. einem nationalistischen, in Ansätzen auch völkischen Sozialismus das Wort zu reden. In der Weimarer Republik waren sie einflussreiche Politiker und Theoretiker der Mehrheits- SPD.

Dagegen haben die radikalen linken Sozialdemokraten Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim in Zusammenarbeit mit den Bremer Linken um Johann Knief („Arbeiterpolitik“) eine radikale Antikriegsposition den ganzen Weltkrieg hindurch vertreten und wirkten in der Revolution1918/19 aktiv in der Spitze des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates. Sie profilierten sich in dieser Zeit als Begründer des „Nationalbolschewismus“. Ähnlich wie Lensch und Haenisch sahen sie in der imperialistischen Entente und den Unterwerfungsfrieden von Versailles ein Hauptübel und begründeten ideologisch nicht nur ein Zusammengehen des neuen Deutschlands mit Sowjetrussland gegen den imperialistischen Westen sondern auch, dass die proletarischen Revolution unter den besonderen Bedingungen in Deutschland zur Volksrevolution würde, zum Aufstand des Volksganzen gegen eine Handvoll Kapitalisten.

Karl Radek, vor dem Krieg Redakteur der Bremer „Arbeiterpolitik“, hat den abwertend gemeinten Begriff „Nationalbolschewismus“ auf Laufenberg und Wolffheim geprägt und 1919 aus seinem Berliner Hausarrest auf ihren Ausschluss aus der KPD gedrängt. Als Beauftragter der Komintern empfahl er wenige Jahre danach,1923, der KPD den „Schlageter-Kurs“. Das war ein Versuch eine Allianz zwischen kommunistischer Aufstandsvorbereitung und faschistisch-nationalistischen Widerstand gegen die Ruhrbesetzung und die harten Reparationsauflagen zu stiften. Er war allerdings nicht auf einer ideologischen Annäherung an Nationalismus und Faschismus basiert. Dieses politisch-taktische Manöver blieb ohne Wirkung und wurde nach wenigen Monaten von KPD und KI wieder aufgegeben.

Ähnliches gilt im Wesentlichen auch für die „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ des ZK der KPD aus dem Jahre 1930. Solche taktischen bzw. strategischen Manöver der Parteiführung zielten auf eine breitere Resonanz in Arbeiterschaft und Kleinbürgertum, waren aber dabei auch auf einen ideologischen Resonanzboden in der Partei angewiesen. Somit hatten auch solche politisch-taktischen Manöver stets politisch-geistige Wechselwirkungen auf die handelnden Personen und Formationen. Der KPD haben diese Manöver keinen politisch nachhaltigen Gewinn gebracht, sondern letztlich den nationalistischen und faschistischen Entwicklungen in die Hände gespielt. Sie basierten auf der Unterstellung eines gemeinsamen Feindes, gegen den man sich auch mit politisch-geistig weit entfernten Gruppierungen zu einem Zweckbündnis zusammentun könnte, alle mal dann wenn die Weltrevolution auf der Tagesordnung stehe.

Solche Denkweisen und ideologischen Konstruktionen gab es analog auch auf der nationalistischen und völkischen Seite des politischen Spektrums in Deutschland. Politiker und Vordenker einer „nationalrevolutionären“ Erneuerung Deutschlands und der „konservativen Revolution“ loteten ebenfalls Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit KPD und SPD und auch mit Sowjetrussland aus. Dabei war der latente bis manifeste Antisemitismus in den nationalistischen und völkischen Strömungen offenbar kein Hindernis für diese Kooperationsideen, obgleich maßgebliche Akteure der radikalen Linken jüdischer Herkunft waren, wie auch eine Reihe linker Befürworter einer solchen Zusammenarbeit. (z.B. Parvus, Wolffheim oder Radek.)

Das Wirken von Parvus und Radek hat sicherlich auch Grundlagen für die politische, militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit von Sowjetrussland und Deutschland zwischen 1918 und 1933 geschaffen. Allerdings waren hierfür nicht „Querfront“-Ideologien sondern vor allem macht- und weltpolitische Konstellationen und Erwägungen maßgeblich.

Die KPD und die Komintern unterstellten ihrer Strategie und Taktik bis 1933 und darüber hinaus das Bevorstehen des weltrevolutionären Entscheidungskampfes.

Was heute bei der Kritik dieser Strategie oft übersehen wird, ist die Tatsache, dass das Nahen einer existenziellen Zeitwende in jenen Nachkriegsjahren das gesellschaftspolitische Denken und Handeln nahezu aller politischen und sozialen Akteure in Deutschland und Europa bestimmte. – Sie trat ja auch ein. Allerdings nahm sie für viele einen völlig unerwarteten Verlauf.

Ein gemeinsamer Gegner ist für sich noch keine hinreichende Basis einer politischen Zusammenarbeit von Parteien und anderen politischen Formationen, schon gar nicht jenseits revolutionärer Gesellschaftskrisen. Dass solche Möglichkeiten erwogen werden, ist naheliegend. Aber eigentlich sollte die Linke aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt haben, dass jede „Querfrontlerei“ mit reaktionären, antidemokratischen, nationalistischen, antisemitischen Strömungen gegen den hegemonialen kapitalistischen bourgeoisen „Mainstream“ sich verbietet, weil man dabei die emanzipatorischen, humanistischen, freiheitlichen und demokratischen Grundlagen der eigenen Bewegung zerstört. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, vielmehr sind verfehlte Mittel geeignet, die Ziele zu verderben.

Einen für mich inakzeptabler Fehlgriff stellt die Bezugnahme von Andrej Hunko, Mitglied des PV der LINKEN, in einer persönlichen Erklärung vom Dezember 2017 dar, insofern er meint den politischen Querfront-Vorwurf damit kontern zu können, dass er behauptet, dass für Karl Radek im Moskauer Schauprozess 1937 der ‚Querfront‘-Vorwurf, das Todesurteil bedeutet habe. Das nicht nur geschmacklos angesichts des Leidens von Radek und hunderttausender Opfer des stalinistischen Terrors, sondern zeugt von einer fahrlässigen Unkenntnis der leidvollen Geschichte des Kommunismus im 20. Jahrhundert.